Rezensionen

Das Ende der komplizierten Einführungen in Degrowth

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„Wir leben […] in einem absurden System: Menschen müssen Dinge kaufen, die sie nicht brauchen – damit andere Menschen Geld verdienen können, um die Dinge zu kaufen, die sie brauchen.“  Komplexe Zusammenhänge des akademischen Diskurses verständlich dargestellt in einer anschaulichen Einführung zum Thema – auf dieses Buch hat die Degrowth-Community lange gewartet.

Worum geht es?

Die Klima- und Wirtschaftsjournalistin Katharina Mau widmet den ersten Teil des Buches der Problembeschreibung von sozial-ökologischen Krisen. Sie thematisiert beispielsweise die Klimakrise, soziale Ungleichheit sowie die Pflegekrise. Dabei kritisiert Mau, dass unser Wirtschaftssystem auf Wachstum ausgerichtet ist und damit Krisen auslöst. Im zweiten Teil stellt sie Degrowth, „eine Welt ohne Wachstum“, als Lösungsansatz vor. Hier geht es um politische Konzepte für Veränderungen der Arbeit, Demokratie, Vermögensverteilung und Lebensgrundlagen. Gleichzeitig betont Mau den demokratischen und planbaren Charakter dieser Wirtschaft. Zuletzt verbindet sie anhand von solidarischer Landwirtschaft die Theorie mit der Praxis.

Stärken

Maus Buch ist nicht das erste populärwissenschaftliche Sachbuch zu diesem Thema. Vor allem männliche, weiße Wissenschaftler wie Tim Jackson, Niko Paech, Jason Hickel und Timothée Parrique haben ihre Forschung zu diesem Thema veröffentlicht. Ähnlich wie Ulrike Herrmann, die 2022 „Das Ende des Kapitalismus“ schrieb, vereint Mau wirtschaftliche und journalistische Expertise. Sie erklärt dieses komplexe Thema gut recherchiert und anschaulich. Der starke Fokus auf den wissenschaftlichen Diskurs ist für Degrowth-Nerds ein Traum. Dies wird für andere Zielgruppen gut aufgelockert durch Maus persönliche Erfahrungen und Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum für einen konkreteren Bezug zur Realität. Damit ist es auch für Menschen ohne Expertise zugänglich.

Ein populärwissenschaftliches Buch

Das Sachbuch ist verständlich und liest sich fast wie nebenbei. Mau strukturiert ihre Gedanken verständlich und erklärt Fachbegriffe im Text oder in Fußnoten. Für die Argumentation werden komplexe natur- und wirtschaftswissenschaftliche Zusammenhänge stark vereinfacht. Neue Themen werden oft mit Fragen an den*die Leser*in eingeführt. Einfache Sprache und aufbereitete Studien machen das Thema zugänglich.

Mau argumentiert vor dem Hintergrund der Klimakrise, die unsere Lebensgrundlagen bedroht. Die soziale Dimension lässt sie jedoch nicht außen vor: Der zweite Teil fokussiert sich auf soziale Gerechtigkeit (Stichworte: nationale und globale Ungleichheit, Sorgearbeit) und die praktische Umsetzung von Degrowth. Fragen wie „Aber was ist mit dem technischen Fortschritt und der Schuldenbremse?“ greift Mau als mögliche Gegenargumente geschickt auf. Für Skeptiker*innen, die an der Umsetzung zweifeln, nennt die Autorin Beispiele wie das 9-Euro-Ticket oder den Bürger*innenrat in Irland zum Thema Abtreibung.

Schwächen

Einzig der Titel des Buches gerät in den Hintergrund. Mau erwähnt zwar, „dass wir manchmal zum guten Leben für alle beitragen können, indem wir einfach nichts tun“. Ein ausführliches Plädoyer, für eine Befreiung durch das Ende der Erschöpfung, hätte die Argumentation jedoch noch gestützt. Stattdessen verbleibt diese am Schluss eher rational-realistisch mit einem „Gemeinsam können wir das Beste aus unserer jetzigen Situation machen“. Außerdem: Während Querverweise teils den Lesefluss stören, sind sie für Degrowth-Newbies hilfreich, weil sie Orientierung bieten. So werden Zusammenhänge zwischen Gesellschaft und Wirtschaft deutlicher. Das ausführliche Literaturverzeichnis ist eine Schatzkiste wissenschaftlicher Literatur. Zusätzlich wären ein Glossar und ein Verzeichnis der Begriffe zum Nachschlagen hilfreich. Abschließende Reflexionsfragen, wie man sie in einigen Romanen kennt, wären eine Möglichkeit gewesen, sich weiter mit dem Thema auseinander zu setzen.

Eine Einladung zum ehrlichen Diskurs

Mau legt keinen „Masterplan für eine Degrowth-Transformation“ vor. Stattdessen lädt sie mit erfrischend brutaler Ehrlichkeit den*die Leser*in zu einer wissenschaftsbasierten Debatte über eine bessere Wirtschaft ein. Interessierte Leser*innen bleiben mit mehr kritischen bzw. neugierigen Fragen als Antworten zurück.

Dem Anspruch einer simplen, packenden Einführung ins Thema genügt das Buch jedoch. Es eignet sich für Leser*innen mit mittlerem Vorwissen und einer Offenheit für utopische Ideen. Es kann sich als Sachbuch-Standardwerk durchsetzen – das wünsche ich dem Buch und der Autorin sehr!

 

Das Buch

Mau, Katharina, Das Ende der Erschöpfung: Wie wir eine Welt ohne Wachstum schaffen. Mit Degrowth gerechter wirtschaften, Lebensqualität erhöhen, nachhaltig gestalten, Löwenzahn Verlag, 2024, 232 Seiten, 22,90€

Elisabeth Hartmann ist Expertin für Klimakommunikation und Nachhaltigkeitsmanagement mit einem Hintergrund in Geographie und Bildung für nachhaltige Entwicklung. Sie arbeitet leidenschaftlich an der Schnittstelle von Klimagerechtigkeit, Degrowth und Bildung für nachhaltige Entwicklung. Nach Stationen bei NGOs, Nachhaltigkeitsberatung und Forschung beschäftigt sie sich aktuell im Rahmen ihres Masterstudiums in „Socio-ecological economics and policy“ an der Wirtschaftsuniversität Wien mit Degrowth, feministischer Ökonomie und Politik für Klimagerechtigkeit.

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