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Planung statt Postwachstum (II)

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Das Problem des Degrowth-Ansatzes

„Was hat das alles mit dem Degrowth-Ansatz zu tun?“, lässt sich an dieser Stelle einwenden. Schließlich lässt sich ein progressives intellektuelles Projekt nicht dafür haftbar machen, dass es mit der Welt bergab geht. „Hätte es den Degrowth-Ansatz nicht gegeben, sähe es heute noch schlechter aus“, könnte ein berechtigtes Argument lauten. Und tatsächlich hat der Degrowth-Ansatz einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dem produktivistischen Zeitgeist etwas entgegenzusetzen, welcher industrielle und ökonomische Expansion als ultimatives Ziel der Wirtschaftspolitik ansieht und sich nicht zuletzt in vielfältigen sozialdemokratischen und sozialistischen Strömungen wiederfindet. Die Klimakatastrophe und weitere ökologischen Krisen und allgemein die Begrenztheit natürlicher Ressourcen und Senken erfordern eine radikale Reduktion des Energie- und Materialverbrauchs – diese einfache Wahrheit in der Debatte hochzuhalten ist ein zentraler Verdienst der Postwachstumsbewegung, hinter die kein progressiver ökonomischer Ansatz zurückfallen sollte. Und wie oben beschrieben, vermag es der Degrowth-Ansatz als wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Vernetzung, beeindruckende Konferenzformate, breite Allianzen und öffentlich finanzierte Forschungsprojekte auf die Beine zu stellen, die einen wichtigen Beitrag für die Kritik am fossilen oder grünen Kapitalismus leisten.

Doch ein zentrales Problem des Degrowth-Paradigmas besteht in der Umwandlung eines wissenschaftlich-intellektuellen Ansatzes in ein strategisch fundiertes politisches Projekt. Es ist wichtig, den akademischen und intellektuellen Beitrag des Postwachstums-Konzepts zu würdigen, und dessen strategischen Mehrwert hiervon zu trennen. Natürlich lässt sich einwenden, dass der Postwachstums-Ansatz auch einfach nur für sich stehen kann und die politische Strategie nicht gleich mitzuliefern braucht. Das wäre ein berechtigter Einwand, doch dann müssten wir im linken und kapitalismuskritischen Spektrum einen bewussteren Umgang damit finden, dass unsere zentralen ökonomischen Konzepte nicht mit Strategien verwoben sind, mit denen wir politisch gewinnen. Der Postwachstums-Ansatz nimmt eine zentrale Rolle innerhalb des progressiven Spektrums ein; außer ihm gab es in den letzten Jahren kein makroökonomisches Leitbild für eine gesellschaftliche Linke, die sich links der Sozialdemokratie oder des grünen Kapitalismus verortet. Nach dem Scheitern des real-existierenden Sozialismus und dem Niedergang der globalisierungskritischen Bewegung wurde „Degrowth“ – neben dem Commons-Ansatz und dem schwammigen Begriff der „sozial-ökologischen Transformation“ – zu einem zentralen ökonomischen Fluchtpunkt des kapitalismuskritischen Spektrums, das abseits seiner Kritik am Status Quo ohnehin kaum systemische Alternativen anzubieten hat. Diese zentrale Rolle des Postwachstums-Konzepts berechtigt meines Erachtens dazu, Ansprüche an das Konzept hinsichtlich seiner politisch-strategischen Effektivität zu stellen.

Das zentrale strategische Problem des Degrowth-Ansatzes – dass er breite gesellschaftliche Schichten von Lohnabhängigen nicht erreicht – ist dabei nichts Neues. Seit den Wahlerfolgen Donald Trumps und der rechten „Brexit“-Kampagne im Jahr 2016 gab es in der gesellschaftlichen Linken in vielen Ländern des globalen Nordens einen „Labour Turn“ – also die verstärkte Hinwendung zu arbeits- und gewerkschaftsbezogenen Themen und Akteursgruppen, zur breiten Diskussion oder Anwendung von Organizing-Methoden und zu (dem Versuch) der Integration von Arbeitskämpfen in breitere soziale Bewegungen. Fragen der Klassenpolitik, der gerechten Übergänge, der materiellen Sicherheit und der populären Politik haben dabei auch den Degrowth-Diskurs erreicht (Siehe unter anderem  die Beiträge von Matthias Schmelzer und Dennis Eversberg in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift arranca!). Es stellt sich also die berechtigte Frage, welchen Mehrwert die erneuerte Kritik des Postwachstumsansatzes einbringen soll und ob hier nicht ein „Pappkamerad“ zur Kritik herangezogen wird.

Ich würde dagegen argumentieren, dass klassenpolitische Zugänge innerhalb des Mainstreams des Postwachstumsansatzes immer noch eine randständige Rolle spielen und der Degrowth-Ansatz keine weitreichenden Konsequenzen aus dem „Labour Turn“ gezogen hat. Ich denke, dass es sich hierbei um inhärente Probleme des Degrowth-Ansatzes handelt, die sich nicht durch ein paar Modifikationen und „Anbauten“ an das Konzept auflösen lassen. Außerdem stellt sich mittlerweile nicht nur die Frage nach den angemessenen Konsequenzen in Bezug auf die Entfremdung breiter Gesellschaftsteile von progressiven politischen Konzepten und Akteuren und den mit ihr zusammenhängenden Aufstieg rechtsextremer Kräfte (auf welche der Labour Turn reagiert), sondern auch in Bezug auf die real stattfindende kapitalistische Transformation und allgemein die neue kapitalistische Krisenphase seit 2020. Ich möchte argumentieren, dass der Degrowth-Ansatz in dieser neuen Krisenphase nicht die strategischen und inhaltlichen Antworten beitragen kann, auf die es jetzt ankommt. Ich möchte das grundlegende Strategieproblem des Degrowth-Ansatzes im Folgenden ausführen und eine paradigmatische Alternative vorschlagen.

Degrowth als strategische Sackgasse

Das grundlegende Problem, in dem wir uns als gesellschaftliche Linke befinden und das meines Erachtens mit der zentralen Rolle des Postwachstumsansatzes zusammenhängt, besteht darin, dass es in den letzten 15 Jahren seit der Finanzkrise nicht gelungen ist, konkrete und umfassende ökonomische Alternativen und Durchsetzungsperspektiven zu entwickeln, die in der organischen Krise des globalen Kapitalismus zur populären Projektionsfläche einer realen Alternative werden und damit einen dritten, progressiven Pol neben dem post-neoliberalen Zentrum und der Neuen Rechten bilden können. Trotz Wirtschaftskrisen, globaler Pandemie, De-Globalisierung, Re-Faschisierung und anbrechendem Klima-Kollaps ist keine breite kapitalismuskritische Strömung entstanden, die eine radikal andere Wirtschaftspolitik sprechbar macht und den politischen Mainstream von Links unter Druck setzt.

Vieles spricht dafür, dass nicht nur die generelle Schwäche der gesellschaftlichen Linken hierfür zur Verantwortung gezogen kann, sondern es sich um ein inhärentes Problem des Postwachstums-Ansatzes handelt. Nach Jahrzehnten der Reallohnstagnation und zuletzt stark steigenden Preisen klingt „Degrowth“ für den größten Teil der Bevölkerung alles andere als vielversprechend. Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen Wirtschaftswachstum als strahlendes gesellschaftliches Leitmotiv diente. Das allgemeine Gefühl, dass Wachstum – sofern es überhaupt noch welches gibt – bei den allermeisten gar nicht ankommt und an ultimative Grenzen stößt, findet weite Verbreitung. Zugleich halten die Menschen am Wirtschaftswachstum fest, oder nehmen es den Politiker*innen zumindest nicht übel, dass sie es tun, weil sie keine Alternative sehen. Wachstum steht heute nicht mehr für individuellen Wohlstand und Aufstiegschancen, sondern für einen vagen Hoffnungsschimmer gegen den eigenen Abstieg und den allgemeinen Katastrophenmodus. Das gilt insbesondere für Menschen in Ostdeutschland, die einen ökonomischen Strukturbruch bereits miterlebt haben, oder Angestellte in Wirtschaftssektoren, die „grün-kapitalistisch“ umstrukturiert werden sollen.

Dazu kommen die Interessensgegensätze innerhalb der Lohnabhängigenklasse, wenn wir sie global betrachten. Denn der neue Klassenkompromiss seit Ende der 1970er beruhte darauf, dass Arbeitskraft andernorts zu noch weitaus schlechteren Bedingungen verkauft werden musste als hierzulande. Zwar wurde die deutsche Gesellschaft immer ungleicher, doch die Ungleichheit innerhalb der internationalen Lohnabhängigenklasse nahm ebenfalls zu und mit ihr die Konsummöglichkeiten der hiesigen Arbeiter*innenklasse. Jedes Jahr werden für 50 Mrd. Euro Klamotten importiert, vornehmlich aus Billiglohnländern – oder technische Geräte im Wert von 250 Mrd. Euro, was dem 100-fachen des Bundeshaushalts entspricht.

Die Widersprüche, die sich für eine linke Strategie aus dieser „imperialen Lebensweise“ zusammen mit der gleichzeitig passierenden Umverteilung von unten nach oben innerhalb der Gesellschaften ergeben, sind real. Sie müssen in konkreten Forderungen, die sowohl die materielle Sicherheit der Menschen als auch eine gerechte und nachhaltige Lebensweise in den Mittelpunkt stellen, überbrückt werden. „Degrowth“ richtet den Fokus der Debatte stattdessen genau auf die Stellen, an denen unproduktive Widersprüche und Konflikte innerhalb der Lohnabhängigenklasse auftreten. Einfach zu sagen, was nicht mehr passieren soll (nämlich Wachstum), anstatt eine makroökonomische Alternative in den Mittelpunkt zu stellen, die den Menschen eine glaubwürdige und annehmbare Perspektive bietet, stellt meines Erachtens einen folgenschweren politischen Fehler dar. Die provokante These könnte lauten: Damit hat der „Degrowth“-Diskurs die kapitalismuskritische Linke in den letzten zehn bis 15 Jahren in eine strategische Sackgasse manövriert.

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