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Ressourcensparender Wohnen durch mehr Suffizienz

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Der Gebäudesektor gilt als einer der Haupttreiber globalen Energie- und Ressourcenverbrauchs. Im Wohnsegment ist es vor allem die immer weiter steigende Pro-Kopf-Wohnfläche, welche technische Effizienzgewinne im Gebäudebereich konterkatiert. Somit wird eine Integration von Suffizienzmaßnahmen hinsichtlich Wohnungsbau und Wohnungsversorgung zukünftig unumgänglich sein, um über eine Reduzierung der Pro-Kopf-Wohnfläche einen nennenswerten Beitrag zur Reduzierung von Energie- und Ressourcenverbrauch zu erreichen.

Der Gebäudesektor ist mit rund einem Drittel des globalen Energieverbrauchs und einem Fünftel der globalen CO2-Emissionen maßgeblich verantwortlich für die aktuellen klimabezogenen Herausforderungen unserer Zeit, wobei davon auszugehen ist, dass der Konsum gebäudebezogener Energie und benötigter Ressourcen sich bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts verdoppelt haben wird (IPCC, 2015; IPCC, 2018). Trotz dieser sicherlich eher erschreckenden Aussichten, besteht jedoch insbesondere im Wohnungssektor auch Grund zu vorsichtigem Optimismus, gilt dieser doch als “’low hanging fruit’ in cutting carbon emissions” (Nelson, 2019, S. 10) – also als Sektor, in dem Einsparpotentiale vergleichsweise einfach zu realisieren seien. Diese Einsparmaßnahmen sollen aktuell insbesondere durch die Realisierung von Effizienzmaßnahmen (z. B. bessere Gebäudedämmung) sowie Konsistenzmaßnahmen (insbesondere der Umstieg auf Erneuerbare Energien) erreicht werden. Wenngleich diese Maßnahmen unbedingt sinnvoll sind, greifen sie doch zu kurz, da sie nicht ausreichen werden, um Einsparungen und damit die selbstgesteckten Klimaziele zu erreichen (Metzner-Szigeth, 2019), weswegen zunehmend auch Suffizienzmaßnahmen (weniger Verbrauch) gefordert werden.

Die Notwendigkeit von Suffizienzmaßnahmen

Trotz vielfältiger Strategien zur Reduzierung des Energie- und Ressourcenverbrauches – Effizienz, Konsistenz, Suffizienz (Schäpke & Rauschmayer, 2014) – ist aktuell eine Verengung auf Effizienz- und Konsistenzmaßnahmen zu beobachten. Diese Fokussierung ist politisch insofern verständlich, als dass Suffizienzmaßnahmen meist mit Verzicht und dem Verlust von Annehmlichkeiten und Komfort assoziiert werden und insofern schwer zu vermitteln scheinen. Nichtsdestoweniger wird diese Verengung möglicher Maßnahmen nicht ausreichen, um in absehbarer Zeit den Ressourcen- und Energiekonsum maßgeblich zu senken (Erba & Pagliano, 2021), da Effizienz- und Konsistenzmaßnahmen derzeit nur sehr langsam realisiert werden und somit keine alleinige kurzfristige Lösung zur Realisierung der Klimaziele darstellen. Zudem sind beide Maßnahmen eine Wette auf zukünftige technische Innovationen und somit keine verlässlichen Optionen. Effizienzmaßnahmen werden zudem durch Reboundeffekte in Frage gestellt – der zusätzliche finanzielle Spielraum, welcher durch Effizienzsteigerungen ermöglicht wird, kann im Umkehrschluss gar zu mehr Ressourcenverbrauch führen. Aktuelle Studien gehen zwar davon aus, dass Reboundeffekte ‚lediglich‘ 10-30 Prozent der Effizienzeinsparungen aufzehren (Heyen et al., 2013), zeigen aber dennoch auf, dass es durch Effizienzmaßnahmen nicht möglich sein wird, wirtschaftliches Wachstum und Ressourcenverbrauch komplett zu entkoppeln. Ferner ist auch die Konsistenzstrategie nicht unumstritten, verbrauchen doch die neuentstehenden Infrastrukturen (z. B. Wind- oder Solarparks) weitere Ressourcen und führen zudem zu Flächenkonflikten (Paech, 2010). Aufgrund dieser Unzulänglichkeiten beider Ansätze werden daher Suffizienzmaßnahmen gefordert, welche auf weniger materialistische Lebensstile abzielen und darüber die nötigen Einsparungen realisieren wollen (Kanschik, 2016).  Dabei soll Suffizienz jedoch eben nicht nur auf persönlichem Verzicht beruhen, sondern vielmehr als eine alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche umfassende System-Innovation gesehen werden (Heyen et al., 2013) – Suffizienzmaßnahmen, welche lediglich auf dem individuellen Konsumverhalten basieren, werden kaum die gewünschten Effekte erzielen. Es braucht daher vielmehr eine breit angelegte Suffizienzpolitik (Schneidewind, 2017). Auch der jüngste IPCC-Bericht mahnt daher zu mehr Suffizienz im Gebäudesektor (IPCC, 2023).

Suffizienz im Wohnungsbau

Der Wohnungsbau tut sich aufgrund seiner Charakteristika schwer mit der Realisierung von Suffizienz. Zum einen dauern Bauvorhaben sehr lange und sind sehr kapitalintensiv, zum anderen ist der Wohnungsbau aufgrund der Erfüllung eines Grundbedürfnisses durch sehr strenge Bauvorgaben charakterisiert. Somit ist Wohnungsbau keine Branche, in der Experimentierfreude und neue Konzepte an der Tagesordnung sind, wodurch der Wohnungsbau als äußerst konservativ bezeichnet wird (Kitzmann, 2023a; Bröchner, 2010; Steffen, 2013). Schon hier zeigt sich, dass Effizienzmaßnahmen, welche auf technischen Neuerungen beruhen, schnell an ihre Grenzen kommen werden. Doch neben dieser generellen Charakteristik des Wohnungsbaus ist es insbesondere eine spezifische Entwicklung, welche die Grenzen von Effizienzmaßnahmen aufzeigt, selbst wenn Reboundeffekte im Wohnungssegment nur ca. 5-15% der Effizienzgewinne aufzehren (Nässén & Holmberg, 2009): die immer weiter ansteigende Pro-Kopf-Wohnfläche. Von 1987 bis 2020 stieg die Wohnfläche pro Kopf deutschlandweit von 34,6 m2 auf 47,4 m2 (+37%) (Destatis, 2021a). Da rund 70% des Energiebedarfs von Haushalten für Raumwärme aufgewendet werden (Destatis, 2021b), stehen die relativen Energieeinsparungen von 9% pro Quadratmeter zwischen 1995 und 2005 einer Zunahme der Pro-Kopf-Wohnfläche gegenüber – 13% im selben Zeitraum (Kopatz, 2015). Somit kann Suffizienz im Wohnungssegment keine alleinig den Haushalten überlassenen Aufgabe bleiben, da weniger das individuelle Wohnverhalten (z. B. Energieverbrauch) für den Ressourcenverbrauch einer Wohneinheit entscheidet, als vielmehr dessen reine Größe (Santin et al., 2009) – die Wohnfläche ist der wichtigste Faktor hinsichtlich häuslichen Energieverbrauchs (Ellsworth-Krebs, 2020). Vielmehr geht es, im Sinne von Suffizienz als System-Innovation, darum, institutionalisierte Prozesse, welche eine ökologisch nachhaltige Wohnraumversorgung verhindern, in den Blick zu nehmen und neue Instrumente, insbesondere bezüglich einer Reduzierung der Pro-Kopf-Wohnfläche zu entwickeln (Hagbert, 2016). Beispiele hierfür reichen von der Einführung von Wohnungstauschbörsen, welche vorhandenen Wohnraum besser verteilen und somit Wohnungsneubau verhindern können (vgl. Kitzmann, 2023b), dem Ansatz Wohnen für Hilfe, bei welchem ältere Haushalte mit ungenutztem Wohnraum Studierende im Gegenzug für Hilfsleistungen kostenfrei bei sich einziehen lassen (Fuhrhop 2023) oder gar Strafzahlungen bei ungenutztem Wohnraum wie der britischen „bedroom tax“ (Gibb, 2015). Diese Maßnahmen entfalten bisher jedoch kaum quantitative Wirkung, da sie letztendlich doch wieder beim individuellen Wohnverhalten der Haushalte ansetzen und weniger auf gesamtgesellschaftlicher Ebene gewachsene Werte und Normen adressieren, welche über Jahrzehnte gewachsen sind. Insbesondere die eigenen vier Wände, welche wie kaum etwas Anderes für Wohlstand stehen, sind Ausdruck einer je-mehr-desto-besser-Sozialisation, welche sich im Rahmen eines auf Wachstum ausgerichteten Wirtschafssystem entwickelte (Nelson, 2019).

Dies verdeutlicht, dass jede Suffizienzstrategie, welche sich nicht grundlegend den aktuellen Rahmenbedingungen einer sich immer weiter steigernden Pro-Kopf-Wohnfläche annimmt, sondern das Thema in den Verantwortungsbereich der Haushalte verschiebt, wie Don Quijote in einem Kampf gegen Windmühlen enden wird.

 

Literatur

  • Bröchner, J. (2010). Innovation in Construction. In: F. Gallouj, & D. Djellal (Hrsg.), The Handbook of Innovation and Services – a multi-disciplinary Perspective (743-767). Edward Elgar.
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  • Destatis (Statistisches Bundesamt). (2021b). Energieverbrauch privater Haushalte für Wohnen 2019 weiter gestiegen (Pressemitteilung Nr. 383). https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/08/PD21_383_85.html
  • Ellsworth-Krebs, K. (2020). Implications of declining household sizes and expectations of home comfort for domestic energy demand. Nature Energy, 5, 20-25.
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