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Die Wachstumsfrage bei der Europawahl

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Am 9. Juni sind Wahlen für das Europäische Parlament und in Deutschland treten dieses Jahr 32 Parteien an für diese richtungsweisende Wahl. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind von zahlreichen internationalen und globalen, teilweise existentiellen Konflikten und Krisen bedroht oder bereits in diese involviert. Neben Kriegen, immer autoritäreren Regierungen und weiteren innen- wie außenpolitischen Spannungen ist auch die Klimakrise eine sich weiter verschärfende Gefahr für die Menschen in Europa und weltweit. Eng verknüpft mit dem adäquaten Umgang mit der Klimakrise ist auch die Frage nach der Zukunft unseres Wirtschaftens. Auf diese Frage haben die Parteien unterschiedliche Antworten, mit denen sie zur Wahl antreten. In diesem Artikel wird untersucht, wie die Parteien die Wirtschaft Deutschlands und der EU in Zukunft gestalten wollen und ob sie Alternativen zum Wachstumsparadigma anstreben. Bei fast allen Parteien wird das Wachstumsthema, wenn überhaupt, wirtschaftspolitisch behandelt und Wachstum als positiver Begriff und politisches Ziel definiert. Eine Verbindung von Wachstum und Umweltpolitik ist nur vereinzelt zu finden, eine Hinterfragung des Wachstumsparadigmas die große Ausnahme.

Methode

Die Wahlprogramme der einzelnen Parteien wurden in ihrer Vollfassung nach den Schlagwörtern „Wachstum“, „wachsen“, „Suffizienz“, „BIP“, und „Vorsorge“ durchsucht und anhand der Treffer analysiert, ob und in welcher Weise sich die Parteien mit der Wachstumsfrage und ihren Alternativen auseinandersetzen. Die Auswahl der untersuchten Parteien hat sich aus deren Stimmanteilen bei der letzten Europawahl ergeben, ausgewählt wurden die Parteien, die mehr als 1% der Stimmen erhalten haben. Das erstmalig zur Europawahl antretende Bündnis Sahra Wagenknecht wurde aufgrund der verhältnismäßig hohen Umfragewerte aufgenommen, das gleiche gilt für die Partei Volt. Die Satirepartei DIE PARTEI konnte mangels eines Wahlprogramms für die Europawahl nicht in die Untersuchung einbezogen werden. Untersucht wurden also die Programme von CDU/CSU, Die Grünen, SPD, AfD, Die Linke, FDP, Freie Wähler, Tierschutzpartei, ÖDP, Volt und Bündnis Sahra Wagenknecht. Die Seitenangaben beziehen sich auf die jeweiligen Wahlprogramme der Parteien, die Reihenfolge orientiert sich an den Wahlergebnissen der Parteien bei der Europawahl 2019. Die Länge der Absätze ist vor allem dadurch bestimmt, wie ausführlich sich die Parteien in ihren Wahlprogrammen mit der Wachstumsfrage auseinandersetzen.

Ergebnisse

Die CDU/CSU hält in ihrem Wahlprogramm am Wachstumsparadigma fest. „Wirtschaftswachstum“ (S. 11) wird mit „Fortschritt“ (ebd.) gleichgesetzt und „nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum und Entwicklung“ (S. 25) sollen gefördert werden. „Nachhaltigen Klimaschutz“ könne es nur mit einer „wettbewerbsfähige[n] Wirtschaft“ geben und „ohne Klimaschutzmaßnahmen [kann es] keine nachhaltige Modernisierung unserer Volkswirtschaft [geben]“ (S. 12). Wirtschaftssektoren sollen dabei unterstützt werden, „ihre Produktionsweisen klimafreundlich umzurüsten“; realisiert werden solle das durch „Innovation und Forschung sowie marktbasierte Instrumente“ (ebd.). Klimaneutralität solle in Europa bis 2050 erreicht werden durch „Technologieoffenheit bei Wirtschaft, Energie und Klimaschutz“, Emissionshandel, Ausbau Erneuerbarer Energien, Energieeffizienz und Kreislaufwirtschaft (ebd.). Die Kreislaufwirtschaft solle neben Abfall-Recycling auch die „zirkuläre Nutzung von Wasser und Wärme“ umfassen sowie die „Langlebigkeit von Produkten verbessern“ (S. 13). Eine europaweite „CO2-Kreislaufwirtschaft“ solle durch eine Stärkung natürlicher und technischer Senken (also eine „industrielle Abscheidung und Speicherung“ durch CCS- und CCU-Technologien) etabliert (ebd.). und der ‚Green Deal‘ „im Sinne einer größeren Wirtschaftsfreundlichkeit“ weiterentwickelt werden (S. 12 f.). Eine kritische Beschäftigung mit oder Alternativen zu wirtschaftlichem Wachstum finden sich im Wahlprogramm der CDU/CSU nicht.

Die Grünen wollen wirtschaftliches Wachstum weiterhin fördern, durch eine auf Klimaneutralität ausgerichtete Investitionspolitik Europa dabei aber „zum ersten klimaneutralen Wirtschaftsstandort“ (S. 5) machen. Der Europäische ‚Green Deal‘ solle weiter verfolgt werden und Europa bis 2050 keine Treibhausgase mehr ausstoßen (S. 6).  Wohlstand solle erneuert und auf ein „klimaneutrales Fundament“ (S. 7) gestellt werden und wie die meisten anderen Parteien setzen auch die Grünen hier auf technologische Innovationen (S. 10-13), anstatt unsere Art des Wirtschaftens grundlegend zu hinterfragen. In der Finanzpolitik zielen die Grünen darauf ab, „grüne Geldanlagen“ (S. 19) weiter attraktiv machen, um so Anleger*innen eine Beteiligung an „Zukunftsbranchen“ (ebd.) und Klimaschutz zu ermöglichen. Finanzbehörden sollen mit „Kompetenzen gegen Greenwashing“ (ebd.) ausgestattet werden um Klarheit zu schaffen, „welchen Beitrag ein Finanzprodukt zur klimaneutralen Modernisierung unserer Wirtschaft leistet“ (ebd.). Auch an anderen Stellen wird ‚grünes‘ oder ‚nachhaltiges‘ Wachstum durch technologische Innovationen gefordert, beispielsweise bei Unternehmensgründungen, Mobilität oder im Welthandel (S. 23, 65, 66, 85, 98). Grenzen des Wachstums und Alternativen zum Wachstumsparadigma werden nicht thematisiert.

Wirtschaftspolitisch ähnelt das Programm der SPD dem von CDU/CSU, wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand wird hier aber mit „effektivem Klimaschutz“ (S. 5) verbunden. Klimaschutz und Wirtschaftswachstum will die SPD durch „klimaneutrale Zukunftstechnologien“ (ebd.), „Innovation“ (ebd.) und einen „Ausbau erneuerbarer Energien“ (ebd.) verbinden: „Nationale und europäische Klima- und Wirtschaftspolitik muss Hand in Hand gehen“ (ebd.). Auch der Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU solle weiterentwickelt werden durch eine Verbindung von Schuldenabbau mit „Zukunftsinvestitionen für den klimagerechten Umbau unserer Wirtschaften“ (S. 21). „Wachstum und Arbeitsplätze“ sollen explizit gefördert werden durch einen „liquiden europäischen Kapital- und Bankenmarkt“ (ebd.) zur Finanzierung europäischer Unternehmen. Durch „Investitionspartnerschaften“, „öffentliche und private Investitionen für die Entwicklung von nachhaltigen Wertschöpfungsstrukturen“ und „progressive Regulierung“ solle „sozialökologisches Wachstum“ (S. 30) ermöglicht werden. Auch im Programm der SPD tauchen die Konzepte ‚Vorsorge‘ und ‚Postwachstum‘ nicht auf.

Die rechtsextreme AfD behandelt das Wachstumsthema in ihrem Wahlprogramm nur an einer einzigen Stelle, an der sie „Wirtschaftswachstum, Wohlstand und Schutz der heimischen Industrie“ fordert (S. 31). Sie fordert darüber hinaus eine „Beendigung der vertragswidrigen und planwirtschaftlichen Politik von EZB und EU-Kommission“ (S. 20) und eine „Rückkehr […] zur Marktwirtschaft“ (ebd.). Der europäische ‚Green Deal‘ und ‚grüne‘ Förderungskriterien für Wirtschaftstätigkeiten werden als „planwirtschaftliche Makrosteuerung“ abgelehnt (S. 20). Anstatt gemeinsamer europäischer Geld- und Wirtschaftspolitik wird eine „Rückkehr zu einer Kapitalallokation über funktionierende Märkte“ (S. 21) angestrebt, durch die Geld für „nationale Wirtschafts- und Sozialprogramme mit klarem Fokus auf langfristige, nachhaltige Infrastrukturinvestitionen“ (ebd.) freigesetzt werden solle.

Die Linke kritisiert den ‚Green Deal‘ der EU als unzureichend für die Erreichung der eigenen Klimaziele: „Ziel der EU ist ein grün angestrichener Kapitalismus“ (S. 39). Sie kritisiert hieran vor allem die weiterhin ungerechte Verteilung von „Profiten und Löhnen, von Privatem und Öffentlichem und von gesellschaftlichem Reichtum“ (ebd.), nicht aber das Wachstumsparadigma an sich. An anderer Stelle fordert sie eine „Kreislaufwirtschaft“ für eine gelingende „Rohstoffwende“ und kritisiert „die kapitalistische Verwertung mit ihrem inhärenten Zwang zu unbegrenztem Wachstum“, die uns „in eine Wegwerfgesellschaft geführt“ habe (S. 43). Sie fordert hier, „den entfesselten Markt zurück in soziale und ökologische Bahnen“ zu zwingen (ebd.). Dieser Ansatz knüpft von allen größeren Parteien am stärksten an die Postwachstumsdebatte an, auch wenn nicht direkt eine Abkehr vom Wachstum gefordert wird. Allgemein fordert die Linke einen „sozialen und ökologischen Umbau von Wirtschaft von Gesellschaft“ (S. 20, 32, 39), außer staatliche Investitionen für einen klimagerechten Umbau der Wirtschaft finden sich aber keine konkreten Ansätze.

Im Wahlprogramm der FDP wird eine Förderung des Wirtschaftswachstums der Mitgliedsstaaten und der Europäischen Union als Wirtschaftsraum klar priorisiert. Dazu sollen unter anderem die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft ‚geschärft‘, Subventions- und Verteilungsmechanismen abgebaut und der Digital- und Energie-Binnenmarkt vollendet werden (S. 2). Anstatt „Planwirtschaft, Protektionismus und Subventionswettläufen“ fordert die FDP eine „starke Soziale Marktwirtschaft, Technologieoffenheit und regelbasierten Freihandel“ (S. 5). Klimaneutralität solle nicht durch „Detailsteuerung“ der Unternehmen oder dem „Zuteilen“ von Ressourcen erreicht werden, sondern durch „mehr Wettbewerb, mehr freien Handel und bessere Bedingungen für Investitionen und Gründungen“ (ebd.). Es verwundert nicht, dass Alternativen zum Wachstum nicht im Programm der FDP auftauchen.

Die Freien Wähler verstehen Nachhaltigkeit als einen „Gleichklang von Ökologie, Ökonomie und Sozialem“ (S. 23). Für ökologische Erfolge setzen sie auf „Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschonung und Effizienz“ und ein „Minimieren von Umwelteinflüssen“ (ebd.). Allgemein wollen die Freien Wähler eine Förderung der lokalen Produktion, vor allem in der Landwirtschaft. Wirtschaftspolitisch stehen sie für eine „wertebasierte Handelspolitik, die hohe Standards und Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen zur Basis des gemeinsamen Handels macht“ (S. 47) und dabei „Wachstum, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit“ (ebd.) verfolgt. Auch sie fordern eine „Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakt[s]“ (S. 48) der EU, um die Währungsunion zu stabilisieren. Eine Abkehr von wirtschaftlichem Wachstum diskutiert die Partei nicht.

Die einzige Partei mit einem expliziten Postwachstumsansatz ist die Tierschutzpartei. Zwar fordern sie eingangs ein „nachhaltiges Wirtschaftswachstum“ (S. 7), ein ganzes Kapitel ihres Wahlprogramms widmet sich aber einem „soziale[n] und nachhaltige[n] Wirtschaftssystem“ (S. 15), in dem sie eine Überwindung des Wachstumsparadigmas fordern. Wachstum und Bruttoinlandsprodukt sollen nicht mehr die Qualität des Wirtschaftssystems definieren, sondern „Lebensqualität und Zufriedenheit“ der Bürger*innen (ebd.). Die Tierschutzpartei will „auf Basis einer Postwachstumsökonomie eine sogenannte Suffizienzstrategie, also eine Strategie des maßvollen und nachhaltigen Konsumierens“ entwickeln (ebd.). „Sozialen und kulturellen Belangen“ solle neben einer „materiellen Bedürfnisbefriedigung“ Aufmerksamkeit geschenkt werden und die Politik solle sich an „ethischen Maßstäben“ orientieren (ebd.). Gefordert wird dazu ein „gesamtgesellschaftliche[r] Paradigmenwechsel“, eine „Beschränkung beim Konsumgüterkauf“, „lokale Wertschöpfungs- und Versorgungsstrukturen“ und ein „starker Rückgang […] bei den industriellen und global arbeitsteiligen Wertschöpfungsprozessen“ (ebd.). Ebenfalls solle „das exorbitant angewachsene Geldvermögen […] drastisch reduziert werden“, weil dieses „tendenziell einem demokratischen Gemeinwesen und einer nachhaltigen Wirtschaftsweise“ entgegenwirke (ebd.). In der angestrebten Postwachstumsökonomie sollen „Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Lebensqualität“ eine zentrale Rolle spielen anstatt „materiellem Wachstum“ (ebd.). Es wird erkannt, dass grenzenloses Wachstum „auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen […] nicht möglich“ ist (ebd.). Eine Fokussierung auf Wirtschaftswachstum wird als Ursache für „Klimakrise, extreme Ressourcenverknappung, Vermüllung und Artensterben“ verstanden (ebd.). Der Staat solle „mehr regulieren, um diejenigen zu bremsen, die nicht bereit sind, Rücksicht zu nehmen“ (ebd.) und Anreize schaffen, eine „emissionsarme, nachhaltige Ökonomie“ zu erreichen. Mit diesem Postwachstumsansatz zielt die Tierschutzpartei nicht nur auf ökologisches Gleichgewicht, sondern auch auf soziale Gerechtigkeit. Wie Die Linke, die Freien Wähler und die ÖDP fordern auch sie eine Kreislaufwirtschaft, darüber hinaus aber auch eine Förderung „lokaler Produktion“ und „lokalen Verbrauchs“, ein „EU-weites bedingungsloses Grundeinkommen“, „Investitionen in grüne Energie und nachhaltige Technologien“, Förderung von „Bildung und Bewusstsein für Nachhaltigkeit“, eine „ausschließliche Berücksichtigung nachhaltiger sozialer Unternehmen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Subventionen“ und eine „Gemeinwohl-Bilanzierung“ (S. 15 f.). Das Prinzip der Marktwirtschaft solle zwar beibehalten werden, sie solle aber verändert werden hin zu „postwachstumsökonomischen und gemeinwohlorientierten Wirtschaftsformen“ (S. 18).

Die ÖDP strebt eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft an, in der die Einhaltung der planetaren Grenzen und der Natur- und Umweltschutz höchste Priorität haben. Sie fordert „Wohlstand ohne Wachstum“ (S. 10) und die kritische Hinterfragung der „Wachstums- und Weltmarktorientierung“ (S. 20) in der Nutztierhaltung und anderen Wirtschaftsbereichen. Im Bereich der Landwirtschaft solle es „stabile, regionale und innerbetriebliche Wirtschaftskreisläufe statt Weltmarktorientierung und Wachstumszwang“ (S.26) geben und für eine erfolgreiche Ressourcen- und Energiewende fordert die ÖDP „das Ende des ständigen Wachstums von Konsum und Verbrauch sowie die Abkehr von der Wegwerfgesellschaft und der Aufbau einer echten Kreislaufwirtschaft“ (S. 35). Im letzten Absatz des Wahlprogramms verbindet sie Ökologie und Sozialpolitik und wiederholt ihre Wachstumskritik: „Die ÖDP steht für […] ein sozial gerechtes Europa, das innerhalb der planetaren Grenzen wirtschaftet, die natürlichen Lebensgrundlagen bewahrt, das Gemeinwohl vor den Profit Einzelner stellt und Bürgerinnen und Bürger in Entscheidungsprozesse miteinbezieht. Das erfordert eine Abkehr vom Dogma des unbegrenzten wirtschaftlichen Wachstums, einen effizienten Umgang mit Ressourcen und den Übergang zu einer nachhaltigen europäischen Kreislaufwirtschaft“ (S. 62). Abgesehen von einem Verweis auf Kreislaufwirtschaft konkretisiert die ÖDP ihre Wachstumskritik nicht und es fehlen Vorschläge für eine Postwachstums-Politik.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht  fordert eine „wirtschaftspolitische […] Eigenständigkeit“ (S. 3) und eine „starke, innovative und sozial verantwortliche europäische Wirtschaft“ (ebd.), vertritt in ihrem Wahlprogramm aber keine klare Position zur Wachstumsfrage. Wirtschaftspolitische Forderungen sind etwa der Abbau von Wirtschaftssanktionen (S. 1, 3, 6) und niedrigere Zinsen zur Förderung von Investitionen (S. 6). Die Rolle der EU wird hauptsächlich im Sicherstellen von Rahmenbedingungen für die „haushalts-, sozial- und wirtschaftspolitische Souveränität“ (S. 3) der Nationalstaaten gesehen. Umweltschutz solle „durch technologische Innovation, öffentliche Förderung und vernünftige Anreize“ (S. 4) erreicht werden.

Die pan-europäische Partei Volt hält wie die meisten anderen Parteien an einer Wachstumsorientierung fest, die europäische Wirtschaft solle „grün“ gestaltet sein und „Nachhaltigkeit, Widerstandsfähigkeit und Komfort“ beinhalten (S. 3). Mit ‚Komfort‘ ist hier vor allem der Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs gemeint (S. 44). Wirtschaftlicher Wohlstand und Wachstum sollen „nahtlos mit Umweltschutz verbunden“ sein und Wachstum solle neu definiert werden, indem ein „Green Net GDP“ eingeführt wird (ebd.). Einnahmen durch Kohlenstoff- und Ressourcen-Bepreisung sollen „Innovation und den Übergang zu einer grüneren Wirtschaft fördern“ (ebd.). „Wirtschaftliches Wachstum, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ sollen „nicht gegeneinander [ausgespielt]“ werden und die „Messung von Wachstum sowohl natürliche Grenzen als auch das Ziel einer gerechten und resilienten Gesellschaft einhalten“ (S. 7). (Grünes) Wachstum wird noch an zahlreichen weiteren Stellen im Wahlprogramm gefordert (S. 9, 49, 75, 89, 110).

Vincent Schlinkert studiert im Master Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Sein politikwissenschaftliches Bachelorstudium absolvierte er an der Philipps-Universität Marburg und hat seine Abschlussarbeit zum Thema „‘Postkapitalistischer Wohlfahrtsstaat‘?: Die soziale Frage beim Übergang in eine Postwachstums-Wirtschaft“ verfasst. Seit April 2024 ist er in der Redaktion des Blogs Postwachstum als studentischer Mitarbeiter tätig.

3 Kommentare

  1. Anonymous sagt am 7. Juni 2024

    Wow, das war ein sehr informativer und gut geschriebener Artikel. Hilfreich, präzise analysiert und erhellend!

  2. Ich möchte die Bedeutung von Parteiprogrammen nicht völlig in Abrede stellen, aber relativieren, insbesondere im Hinblick auf Kleinstparteien, deren Handeln im Einzelnen auch nicht gut absehabar ist, wie sich in der Vergangenheit insbesondere an der Tierschutzpartei ablesen lässt.
    Strategisch wirklich wichtig ist es, innerhalb von demokratischen Parteien, die die Chance haben, Politik ernsthaft mitzugestalten, mitzuwirken: Als Mitglied einer Partei hat man wesentlich mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten als durch die (freilich wichtigen) gelegentlichen Wahlen etc. und könnte innerparteilich die Kräfte stärken, die Wachstum kritisch sehen. Das geht auch in der FDP, wenn man den (leider inzwischen sehr geschwächten) sozialliberalen und für ökologische Themen offenen Flügel stärkt, der durch Gerhardt Baum repräsentiert wird (m.E. unseren ersten Umweltminister, noch bevor er so heißen durfte). In den Unionsfraktionen sind es diejenigen, denen die „Bewahrung der Schöpfung“ aus einer ernsthaft wertkonservativen Haltung wichtig ist. Solange diese Parteien allerdings offensiv Politik sogar den Green Deal rückgängig machen wollen, braucht man sie ja trotzdem nicht zu wählen.
    Die SPD bräuchte innerparteilich dringend eine Stärkung der Kräfte, die dem Kanzler nahelegen, seine Richtlinienkompetenz einmal gegen die wirtschaftsliberale FDP-Führung zugunsten des Klimaschutzes (Suffizienz scheint da zwei Schritte zu viel zu sein) einzusetzen und bei den Grünen könnte die strikt wachstumskritische Grüne Jugend Unterstützung auch durch Lebensältere gebrauchen; die Grünen Minister brauchen letztlich den glaubwürdigen Druck der
    grünen Parteibasis, um sich gegen die Wachstumsbejahenden Kräfte in FDP und leider auch SPD durchzusetzen.
    Kurzum: 1. Wer Postwachstum politisch durchsetzen will, muss politisch handeln. In einer Parteiendemokratie hat man dabei das größte Gewicht, wenn man in Parteien mitmischt, die die Politik tatsächlich auch mitgestalten können, nicht aber in unbedeutenden Splitterparteien.
    2. Gleichwohl kann man davon Abstand nehmen, die Parteien zu wählen, die sich aktuell und für die nächste Wahlperiode im Programm festgeschrieben, Wachstum als besonderen Wert an sich propagieren.
    3. Wer mit ÖDP oder Tierschutzpartei odgl. sympathisiert, sollte sich mal ganz genau anschauen, wen er da unterstützt.
    Hier nur zur Tierschutzpartei: Sie gibt sich links-liberal; allerdings war der gewählte und noch-MdEP Buschmann aktives NPD Mitglied mit Funktionen. Sein Mandat hat der der Tierschutzpartei nicht zurückgegeben, ebenso wenig wie der Europaparlamentarierer der vorangegangenen Wahlperiode Eck. (Quelle: Wikipedia). Es gibt eine erhebliche Fluktuation im Führungspersonal, keine gute Voraussetzung für eine stabile Suffizienzpolitik.
    Die ÖDP war mir während der Corona-Krise mit impfskeptischen Positionen aufgefallen, die allerdings nicht bis zum Corona-Leugnen reichten (dies wird aktuell auch im Wikipedia-Artikel referiert). Themen, die sich zu einer Art Kulturkampf eignen würden (Abtreibungsproblematik u.dgl.), werden zwar von einer konservativen Werteauffassung her vertreten, aber diese Positionen werden auf Konsensfähigkeit, nicht auf eine gesellschaftliche Spaltung hin ausgerichtet.

    • Wichtig: Die obige Einschätzung stellt meine persönliche Meinung dar. Eine Diskussion bzw. Beschlussfassung in meiner Forschungsgruppe vunk zu dem hier kommentierten Thema fand nicht statt.
      Die Einschätzung baut allerdings auf langjähriger Politikberatung und -beobachtung auf und reflektiert die unterschiedliche Wirksamkeit von Initiativen in Richtung einer ressourcen- und umweltschonenderen Politik, die ich auch im Rahmen meiner wissenschaftlichen Tätigkeit unternommen habe.

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