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Gemeinschaft in der Nachhaltigkeit finden

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Es wird immer deutlicher, dass individuelle Verhaltensänderungen allein nicht ausreichend dazu beitragen können, eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. Eine Befragung untersucht darauf aufbauend das Engagement von Menschen für sozial organisierte Ansätze, die neue Möglichkeiten zu verschiedenen Facetten der Nachhaltigkeit offenbaren können.

Viele Ansätze im Kampf gegen die Klimakrise beziehen sich auf einzelne Personen und ihr individuelles Handeln mit dem Ziel, den eigenen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. Als Konsument:innen können wir, sofern der sozio-ökonomische Status und die Lebensumstände diese Handlungsoptionen ermöglichen, nachhaltigere Produkte wählen oder die Menge unseres Konsums reduzieren. In Sachen Mobilität können wir auf Elektroautos umsteigen, öffentliche Verkehrsmittel nutzen oder Flüge vermeiden. In unseren Haushalten können wir Energie sparen, Müll trennen oder durch Solarpanels und Wärmepumpen die Energiebilanz unseres Wohnraums verbessern.

Dass diese individuellen Verhaltensänderungen wichtig, aber bei Weitem nicht ausreichend sind, wird in letzter Zeit immer deutlicher. Umso mehr bewegt sich der Fokus bei Diskussionen um eine gesellschaftliche Transformation von der Verantwortung des Einzelnen hin zu sozial organisierten Ansätzen, in denen sich mehrere Personen mit spezifischen Zielen für eine nachhaltige Entwicklung zusammenfinden (Bamberg et al., 2018).

Von aktivistischen und gemeinschaftlichen Ansätzen

Sozial organisierte Nachhaltigkeitsansätze können verschiedene Formen annehmen. Aktivistisches Engagement in sozialen Bewegungen wie Fridays for Future oder der letzten Generation konzentriert sich auf verschiedene Ausprägungen des Protests oder auch zivilen Ungehorsams, um so ein stärkeres Eingreifen der Politik beispielsweise in Form von strengeren Gesetzen zur Regulierung klimaschädlichen Handelns zu bewirken.

Zugleich erfreuen sich aber auch sozial organisierte Ansätze der gemeinschaftlichen Art wie Ökodörfer oder solidarische Landwirtschaften (SoLaWi) immer größerer Beliebtheit. Der Fokus liegt hier auf der gemeinsamen Umsetzung von alternativen Lebensweisen, die sich auf nachhaltige und ökologische Prinzipien stützen und dabei grundsätzlich auch Dimensionen sozialer Nachhaltigkeit einbeziehen. Dies können beispielsweise eine gemeinsame Ressourcennutzung und Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen in Ökodörfern oder ökologische Landwirtschaft und solidarische Wirtschaftsprinzipien in SoLaWis sein.

Doch warum entscheiden Einzelne, sich in sozial organisierten Nachhaltigkeitsansätzen zu engagieren und wie unterscheiden sich Personen, die sich für eine aktivistische Gruppe entscheiden, von Personen, die gemeinschaftliche Ansätze suchen? Um diese Entscheidungen besser zu verstehen, wurden 218 Personen in Deutschland, die über soziale Netzwerke sowie Verteiler von Universitäten ohne weitere Ausschlusskriterien rekrutiert wurde, befragt. Die Teilnehmenden sahen zunächst Beschreibungen von sechs verschiedenen Ansätzen (Fridays for Future, Extinction Rebellion, Ende Gelände, Ökodörfer, SoLaWis, Gemeinschaftsgärten) und beantworteten anschließend Fragen zu ihrer Teilnahme(intention) sowie Dimensionen von Persönlichkeit, Werten und Zeitorientierung.

Unterschiede in Persönlichkeit und Werten

Insgesamt waren nur 6% der Befragten bereits Teil eines sozial organisierten Nachhaltigkeitsansatzes, rund 62% konnten sich allerdings vorstellen, Mitglied einer der vorgestellten Ansätze zu werden. Nur knapp 32% konnten sich keine Mitgliedschaft in einem der präsentierten Ansätze vorstellen. Bei einem Vergleich der verschiedenen Gruppen unter den Befragten fallen einige Unterschiede hinsichtlich bestimmter Persönlichkeitsmerkmale (Körner et al., 2008) und Werte (Steg et al., 2014) auf. Im Vergleich zu Personen, die sich keine Mitgliedschaft vorstellen konnten, zeigte sich bei den Personen, die bereits Teil eines Ansatzes waren oder sich vorstellen konnten, Mitglied zu werden, eine größere Offenheit für neue Erfahrungen sowie eine größere Verträglichkeit. Zudem war in dieser Gruppe die Ausrichtung zur Umwelt (biosphärische Werte) höher und die Ausrichtung auf die eigene Person (egoistische Werte) niedriger. Gleichzeitig zeigte sich in dieser Gruppe mit Interesse eine stärkere Zukunftsorientierung hinsichtlich einer ethischen Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen und einer sozial-ökologischen Transformation. Ebenso war aber auch die Vergangenheitsorientierung bezogen auf mehr Einfachheit früherer Lebensformen und Ursprünglichkeit in dieser Gruppe höher. Es könnte somit sinnvoll sein, gezielte Formen der Ansprache für diese besonders an sozial organisierten Nachhaltigkeitsansätzen interessierten Personen zu finden.

Großes Interesse an Gemeinschaften, aber wenig Mitgliedschaften

Die 6% der befragten Personen, die bereits Teil eines sozial organisierten Nachhaltigkeitsansatzes waren, waren alle bei Fridays for Future engagiert. Darüber hinaus waren einige dieser Personen zusätzlich in weiteren Ansätzen aktiv, so z.B. in einem Ökodorf, Gemeinschaftsgarten oder bei Ende Gelände. Das scheinbar große Interesse an sozial organisierten Nachhaltigkeitsansätzen wurde bisher also nur von wenigen der befragten Personen in die Tat umgesetzt, dafür aber teilweise mit multiplem Engagement.

Der Wunsch derjenigen, die aktuell nicht Teil einer der beschriebenen Gruppen waren, aber sich vorstellen konnten, Mitglied zu werden, konzentrierte sich stark auf die gemeinschaftlichen Ansätze. Rund 20% der Befragten konnten sich eine Mitgliedschaft in einem Gemeinschaftsgarten vorstellen und knapp 13% waren an SoLaWis sowie 6% an Ökodörfern interessiert. Weitere 16% waren an Fridays for Future interessiert, während das Interesse an den anderen Formen von aktivistischen Bewegungen (Extinction Rebellion: 3%; Ende Gelände: 2%) eher gering ausfiel.

Während die Befragten, die bereits Teil eines Ansatzes sind, also eher zu aktivistischen Bewegungen neigen, scheint es insgesamt einen großen Reiz gemeinschaftlicher Nachhaltigkeitsansätze zu geben. Hier bestehen jedoch offenbar Hürden, die von einem tatsächlichen Engagement in diesen Gemeinschaften abhalten.

Das Interesse und Potenzial sozial organisierter Nachhaltigkeitsansätze nutzen

In einer Welt, die scheinbar beständig schnelllebiger wird, können gemeinschaftliche Ansätze mit ihrer häufig eher ländlichen Lage, starkem Gemeinschaftsgefühl und Naturnähe einen Ausweg oder einen Gegenpol zu der beständigen Spirale der Beschleunigung und Entfremdung bieten. Dies wirkt sich auch auf die in der Gemeinschaft gelebten Praktiken wie Teilen, Reparieren oder Upcycling aus, die statt materialistisch meist eher suffizient ausgerichtet sind. Landwirtschaftliche Verfahren sind von einer starken Verantwortung für Natur und Tierwelt geprägt und auch Verkehrsplanung, Energieversorgung und Bauweisen in Ökodörfern beziehen diese Naturnähe mit ein (z.B. Lehm- und Strohbau, grüne Energiequellen). Darüber hinaus bietet sich Platz für das Ausprobieren alternativer Formen der Organisation, Entscheidungsfindung und Wirtschaftssysteme (z.B. Wirtschaftsgemeinschaft und eigener Marktkreislauf von SoLaWis, Mitwirkung aller Bewohnenden in Ökodörfern). All diese alternativen Praktiken können in Nachhaltigkeitsgemeinschaften als Experimentierräume in kleinem Rahmen umgesetzt und erprobt werden, um so langfristig möglicherweise einen Einfluss in größeren Teilen der Gesellschaft zu finden.

Warum aber spiegelt sich das große Interesse an Nachhaltigkeitsgemeinschaften in unserer Befragung nicht in den tatsächlichen Teilnahmequoten wider? Im Gegensatz zu den durch Protestaktionen und Medienrepräsentationen bekannteren aktivistischeren Ansätzen, fehlt interessierten Personen bei gemeinschaftlichen Ansätzen möglicherweise das Wissen über diese Ansätze oder konkrete Informationen, wo sie Mitglied werden können. Hier könnten gezieltere Informationskampagnen und niedrigschwellige Angebote wie Mitmachaktionen, Tage der offenen Tür, Schnuppermitgliedschaften oder Möglichkeiten zum freiwilligen Engagement die Sichtbarkeit und Zugänglichkeit stärken (Avelino, & Kunze, 2009).

Weitere Barrieren für die Mitgliedschaft in gemeinschaftlichen Ansätzen können Zeit oder finanzielle Ressourcen sein (Blättel, Mink et al., 2017). Hier könnten Angebote mit reduziertem und flexiblerem Zeitaufwand (z.B. Mitgliedschaften ohne eigene Mitarbeit, flexiblere Abholzeiten für Gemüse) sowie Informationen über die solidarischen Ansätze vieler Gemeinschaften, die allen einen Zugang zu diesen ermöglichen sollen, hilfreich sein. Zudem könnten gemeinsame Feste, Vernetzungsveranstaltungen oder Erntetage für die ganze Familie das Gemeinschaftsgefühl stärken, das viele Personen zu reizen scheint (Singh et al., 2019).

Insgesamt liegt also noch eine Menge verborgenes Potenzial in sozial organisierten – besonders den gemeinschaftlichen – Nachhaltigkeitsansätzen, dessen Nutzung sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft und deren sozial-ökologische Transformation sehr wertvoll sein kann.

 

Literatur

Avelino, F., & Kunze, I. (2009). Exploring the transition potential of the ecovillage movement. In: European Conference on Sustainability Transitions: Dynamics & Governance of Transitions to Sustainability.

Bamberg, S., Rees, J. H., & Schulte, M. (2018). Environmental protection through societal change: What psychology knows about collective climate action—and what it needs to find out. In Psychology and climate change (pp. 185-213). Academic Press. https://doi.org/10.1016/B978-0-12-813130-5.00008-4

Blättel?Mink, B., Boddenberg, M., Gunkel, L., Schmitz, S., & Vaessen, F. (2017). Beyond the market—New practices of supply in times of crisis: The example community?supported agriculture. International Journal of Consumer Studies41(4), 415-421. https://doi.org/10.1111/ijcs.12351

Körner, A., Geyer, M., Roth, M., Drapeau, M., Schmutzer, G., Albani, C., Schumann, S. & Brähler, E. (2008). Persönlichkeitsdiagnostik mit dem NEO-Fünf-Faktoren-Inventar: Die 30-Item-Kurzversion (NEO-FFI-30). Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie, 58(6), 238–245. https://doi.org/10.1055/s-2007-986199

Singh, B., Keitsch, M. M., & Shrestha, M. (2019). Scaling up sustainability: Concepts and practices of the ecovillage approach. Sustainable Development27(2), 237-244. https://doi.org/10.1002/sd.1882

Steg, L., Perlaviciute, G., van der Werff, E. & Lurvink, J. (2014). The Significance of Hedonic Values for Environmentally Relevant Attitudes, Preferences, and Actions. Environment and Behavior, 46(2), 163–192. https://doi.org/10.1177/0013916512454730

Lena Schmeiduch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Fachgebiet für Arbeits- und Organisationspsychologie mit Schwerpunkt Interkulturelle Wirtschaftspsychologie der Universität Osnabrück. Sie studierte Psychologie (B.Sc.) an der Universität zu Lübeck und Interkulturelle Psychologie (M.Sc.) an der Universität Osnabrück. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich unter anderem mit den Prozessen hinter Beitrittsentscheidungen und der Teilnahme an nachhaltigen, transformativen Gemeinschaften. Weitere Forschungsschwerpunkte sind die Konzeptualisierung und Messung unterschiedlicher Zeitdimensionen sowie die Rolle von Zeit im Kontext von Nachhaltigkeit.

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